Die Entführung der Ursula Herrmann

Am 15. September 1981 besuchte Ursula Herrmann, damals 10 Jahre alt, den Turnunterricht. Nach einem Abendessen bei Onkel und Tante machte sie sich auf den Heimweg. Dort kam sie niemals an.
Was ist mit Ursula Herrmann passiert?
Ursula fuhr am Nachmittag des 15. September 1981 von ihrem zu Hause in Eching am Ammersee mit ihrem Fahrrad zum Turnunterricht ins Nachbardorf Schondorf. Ihre Turnstunde dauerte bis 18.30 Uhr. Sie fuhr nach dem Unterricht noch zu ihrem Onkel und ihrer Tante, die im gleichen Dorf wohnten, um dort zu Abend zu essen. Um 19.15 Uhr rief ihre Mutter an, da Ursula nach Hause kommen sollte, weshalb sie sich dann auch auf den Weg machte.
Da Ursula aber nicht zu Hause ankam, begannen ihre Eltern natürlich, sich Sorgen zu machen. Ihr Vater machte sich auf den Weg, um nach ihr zu suchen, konnte sie aber nirgendwo finden. Um 20.35 Uhr haben Ursula’s Eltern dann die Polizei angerufen, um eine Vermisstenanzeige zu stellen.
Die Polizei sowie die Feuerwehr haben den ganzen Abend nach Ursula gesucht. Um 23.14 Uhr schlug dabei ein Polizeihund an. 24 m vom Gehweg entfernt fand man ihr Fahrrad. Von Ursula aber weit und breit keine Spur. Auch der Polizeihund konnte keine weitere Spur wittern.
Ursula ist vermutlich um ca. 19.30 Uhr von einer oder mehreren Personen entführt worden. Die Entführung erfolgte auf einem für den Fahrzeugverkehr gesperrten Seeweg. Es ist davon auszugehen, dass sie betäubt und dann von ihrem Fahrrad gerissen und in anliegendes Waldstück namens Weingarten verschleppt wurde.
In diesem Waldstück war eine Kiste in der Größe von 72 x 60 x 139 cm vergraben. Darin befand sich eine Sitzbank, Beleuchtung, die von außen mit einer alten Autobatterie betrieben wurde, Schokolade und Kekse, ein Toiletteneimer, ein Radio, Comics sowie Liebes- und Westernromane. In diese Kiste wurde Ursula eingesperrt.
Durch ein selbstgebautes Rohrsystem sollte die Luft ausgetauscht werden. Jedoch wurden die Rohre teilweise von Laub verstopft, so dass die Luft nicht zirkulieren konnte. Dies bedeutet, dass Ursula in einem Zeitraum von 30 Minuten bis 5 Stunden, nachdem sie dort eingesperrt wurde, erstickte. Sofern sie ihr Bewusstsein nach der vermuteten Betäubung durch die Entführer noch einmal wiedergewonnen hat, hat sie es erneut verloren, bevor sie erstickte.
Der Erpresserbrief
Am 17. September gingen 7 Anrufe bei Ursula’s Eltern ein, während der niemand ein Wort sagte. Was aber zu hören war, war ein Verkehrsnachrichtenjingle des Radiosenders Bayern 3. Am 18. September wiederholte sich das Ganze noch 4 weitere Male.
Am 18. September erreichte die Familie außerdem ein Brief mit einer Lösegeldforderung von 2 Millionen DM. Der Brief war mit Zeitungsschnipseln gebastelt. Darin stand u.a.: „wir haben ihre Tochter entführt wenn Sie Ihre Töchter jemals lebend wiedersehen wollen Zahlen Sie Zwei Millionen Mark Lösegeld“.
Der Erpresserbrief enthielt außerdem noch Angaben zur Geldübergabe. So wollten die Entführer das Geld in einem gelben Fiat 600 sowie in gebrauchten 100 DM Scheinen übergeben bekommen. Nun sollte man wissen, dass Ursula’s Vater ein Lehrer und ihre Mutter Hausfrau war. Ein Betrag von 2 Millionen DM war also nicht einfach für sie zu beschaffen. Durch Freunde und Bekannte hat ihr Vater es dennoch geschafft, diesen Betrag zusammen zu bekommen.
Vor der Geldübergabe wollten die Herrmanns jedoch ein Lebenszeichen ihrer Tochter. Entsprechendes verlangte Ursula’s Mutter bei dem letzten Anruf der Entführer und sagte, Ursula solle den Namen ihres Teddys nennen. Einen weiteren Anruf oder einen sonstigen Kontaktversuch gab es dann nicht mehr. Man geht davon aus, dass die Entführer nach diesem letzten Anruf zu der Kiste gingen und dort feststellten, dass Ursula bereits verstorben war.
Fund der Leiche von Ursula Herrmann
In den folgenden Tagen wurde der Wald von Hundertschaften durchkämmt, bis am 4. Oktober 1981 Verfärbungen am Waldboden auffielen. Nachdem diese genauer untersucht wurden, fand man die vergrabene Kiste mit der Leiche von Ursula Herrmann. Von all den Sachen, die sich mit ihr in der Kiste befanden, hatte sie nichts angerührt.
Dieser Anblick war so schockierend, dass selbst den erfahrenen Ermittlern die Tränen kamen.
Die Ermittlungen
Die Ermittlungen erfolgten nicht wegen Mordes, sondern aufgrund von erpresserischem Menschenraub mit Todesfolge. Ursula Herrmann starb an einem hypotoxischem Ersticken. Dies ist vergleichbar mit bergsteigen in großen Höhen. Es gibt dabei keine Atemnot, stattdessen fällt man in eine Bewusstlosigkeit. Sichtbare Abwehrverletzungen hatte Ursula nicht.
Es konnte herausgefunden werden, dass entlang des Seewegs, an dem Ursula entführt wurde, ein Beobachtungsposten war. Dort wurde ein Fernglas gefunden, mit dem die Entführer vermutlich auf Ursula gewartet haben.
Bevor die Kiste am 4. Oktober 1981 gefunden wurde, wurde das Weingartengebiet insgesamt 15 mal mit Hundertschaften, Lawinenhunden sowie Hubschraubern abgesucht. Außerdem haben Taucher den anliegenden See durchsucht.
Am 23. September 1981 wurde in Landshut ein Telegramm von einer Frau aufgegeben. In diesem stand: „Weitersuchen. Raffinierter Plan ermöglicht ihr durchzuhalten“. Da dieses Telegramm von einer Frau aufgegeben wurde, suchte die Polizei zunächst auch nach einer Frau.
Nachdem die Kiste mit Ursula gefunden wurde, kamen sofort auch einige Journalisten zum Tatort. Zwar wurde der Tatort abgesperrt, jedoch kamen die Journalisten (mit Genehmigung der Polizei) dennoch sehr nah an die Kiste ran, um sie zu fotografieren. Die Kiste wurde dann durch die Feuerwehr ausgegraben. Manchen Berichten zur Folge sollen dabei sogar zwei der Journalisten geholfen haben. Anschließend wurde die Kiste auf einen Laster gepackt und zur Kripo gebracht.
Durch die vielen Personen am Tatort und des dort alles andere als sachgemäßen Vorgehens wurden viele Spuren vernichtet, bzw. kontaminiert. An einem Klebestreifen, der an den Belüftungsrohren befestigt war, konnte dennoch ein Fingerabdruck gefunden werden. Dieser wurde mit der Datenbank abgeglichen, einen Treffer gab es aber nicht.
In der Nähe der Kiste war in etwa 2 m Höhe über Ästen von jungen Bäumen ein grüner Klingeldraht befestigt. Dieser Draht verlief parallel zum Seeweg und war um eine Kurve gespannt. Einige Tage später war er allerdings verschwunden. Die Polizei geht davon aus, dass dieser Draht den Entführern zur Kommunikation diente. Während einer der Entführer an der Kiste war, hielt der andere Ausschau nach Passanten. Sah er welche kommen, verständigte er den anderen Entführer über diesen Draht. Die Ermittler haben diesen Klingeldraht dort hängen lassen. Dies war, nach dem Menschenanlauf, bei dem Spuren vernichtet wurden, nun schon der zweite Fehler, den die Polizei machte.
Im Jahr 1982 verteilten die Ermittler insgesamt etwa 100.000 Plakate. Auch mussten alle Echinger einen Fingerabdruck hinterlegen.
Im Juli 2002 konnten dann 8 Haare in der Kiste sichergestellt werden. Im Oktober 2005 wurden aus diesen Haaren eine DNA-Spur gewonnen.
Bis zum Jahr 2008 wurden durch die Polizei gut 20.000 Fingerabdrücke, 15.000 Personen, 11.000 Fahrzeuge sowie mehr als 40.000 Spuren verfolgt.
Es kam auch die Vermutung auf, dass Ursula möglicherweise mit einem anderen Mädchen verwechselt wurde. In der Nachbarschaft der Herrmanns gab es ein Mädchen, dass Ursula sehr ähnlich war. Im Gegensatz zu Ursula’s Eltern waren die Eltern des anderen Mädchens aber deutlich wohlhabender. Beide Mädchen gingen auch in denselben Turnunterricht. In 2004/2005 wurde auch in diese Richtung ermitteln, jedoch ohne brauchbares Ergebnis.
Die Verdächtigen
Im Laufe der Ermittlungen gab es so einige Verdächtige. So war da ein
Mann aus Taiwan
Dieser Mann stammte ursprünglich aus Bayern und wurde im Jahr 2006 in Taiwan wegen Drogenhandel verhaftet. Im Jahr 1981 wurde er bereits schon einmal von Zeugen verdächtigt. Damals lebte er noch gemeinsam mit seinem Lebenspartner in Deutschland. Er war damals schon mehrfach straffällig geworden wegen Betrug und Scheckbetrug. Außerdem war er verschuldet.
Er wollte mit seinem damaligen Lebenspartner eine Lichttherapie vermarkten, bei der Menschen mit Licht aus Röhren mit einer speziellen UV-Frequenz behandelt werden sollten. Für dieses Projekt war er auf der Suche nach einem Geldgeber. Als möglicher Geldgeber kam der Vater des Mädchens in Frage, mit dem Ursula möglicherweise verwechselt wurde. Es gab damals ein Treffen im Haus des Vaters, bei dem dieser Mann aus Taiwan auch die Tochter sah.
In seinem Freundeskreis hatte dieser Mann im Sommer 1981 auch einmal darüber diskutiert, Geld mit Entführungen zu beschaffen. Nach der Entführung hat er den Kontakt zu seinem Partner sowie zu dessen Freundeskreis abgebrochen.
Als er in den 2000ern erneut verdächtigt wurde, bestritt er die Tat. Zu dieser Zeit saß er bereits in Taiwan im Gefängnis. Er gab freiwillig eine DNA-Probe ab. Eine Übereinstimmung konnte aber nicht festgestellt werden.
Der Fall Charlotte Böhringer
Im Jahr 2007 konnte an einer Schraube aus der Kiste noch ein weiterer Fingerabdruck gesichert werden. Im Mai 2007 wurde dann bekannt, dass diese DNA-Spur mit einer DNA-Spur aus dem Mordfall Charlotte Böhringer übereinstimmt. Der gleiche Fingerabdruck war auch an einem Glas in einer Geschirrspülmaschine sowie an einem Kommodengriff in der Wohnung von Charlotte Böhringer festgestellt worden. Dieser Mordfall ereignet sich allerdings erst 25 Jahre nach der Entführung von Ursula.
Es gab einen Abgleich der Spur mit 30 Verdächtigen. Ein Treffer konnte aber auch hier wieder nicht erzielt werden. Das Landgericht München I entschied dann, dass es trotz übereinstimmender DNA keinen Zusammenhang gibt.
Ex-Polizist
Dieser Polizist galt lange als Hauptverdächtiger. Zahlreiche Indizien sprachen gegen ihn. So wurde sein Auto am Entführungstag in der Nähe des Tatorts gesehen. Außerdem war er mit den Ermittlern zur Begehung im Weingartengebiet. Die anderen Ermittler bemerkten dabei, dass er stark zitterte, schwitze und sich komisch benahm.
Hinzu kam, dass er laut Aussage von Zeugen über seinen Verhältnissen lebte und auch kein Alibi hatte. Trotzdem wurde das Verfahren gegen ihn im Jahr 1989 eingestellt. 1995 ist er dann verstorben.
Klaus P.
Klaus P. wurde vor der Tat von mehreren Zeugen auf einem Mofa mit einem Spaten gesehen. Ein Zeuge sah, wie er mit dem Mofa und dem Spaten aus einem Waldweg des Weingartens kam, dies war lediglich 140 m von der Kiste entfernt. Selbst am Abend des Entführungstages wurde er gegen 20.30 Uhr mit dem Spaten am Mofa gesehen. Seine Fahrten konnte er gegenüber der Polizei nicht plausibel erklären.
Um die Belüftungsrohre war ein Stoff (ein verschmutztes Bettlaken) gewickelt. Ein solches Bettlaken war aus einer Halle verschwunden, in der das Fahrzeug von Klaus P. untergebracht war. Zu dieser Halle hatte auch Werner M., ein weiterer Verdächtiger, Zugang.
Während einer Vernehmung sagte Klaus P. aus, dass er das Loch für die Kiste im Auftrag von Werner M. gegraben habe. Werner M. habe ihm dafür einen Farbfernseher sowie 1.000 DM versprochen. Später hat er dieses Geständnis jedoch widerrufen.
In einer Vernehmung vom 3. März 1982 sollte er eine Skizze des Tatorts anfertigen. Dabei macht er aber den Fehler, sie 600 m entfernt vom eigentlichen Tatort zu zeichnen. Denselben Fehler machten die Ermittler in einer Pressemitteilung. Er sagte weiterhin aus, dass das Gebiet, in dem die Kiste sich befand, mit Holzschrauben abgesteckt gewesen sei, was nicht stimmte. Auch behauptete er, er hätte den Spaten in den Ammersee geworfen. Dies ist aber nicht möglich, da Zeugen ihn ja noch mit dem Spaten aus dem Wald kommen sahen.
Den Erdaushub wollte er mit dem Leiterwagen einer Nachbarin zum See gebracht haben, was die Ermittler für „völligen Quatsch“ hielten.
Anzumerken ist, dass Klaus P. Alkoholiker war. Des Weiteren wurden die Zeugenaussagen von ihm nicht ordnungsgemäß protokolliert. Einer der Ermittler fertigte das Vernehmungsprotokoll erst im Nachhinein aus seiner Erinnerung an. Der leitende Oberstaatsanwalt Franz Ammer hielt seine Aussagen nicht für glaubwürdig. Man vermutete, dass er das Geständnis lediglich deshalb ablegte, weil er darauf hoffte, dadurch ein milderes Urteil in einer anderen Strafsache gegen ihn zu bekommen.
Er war nicht nur Alkoholiker, sondern ebenfalls hoch verschuldet. Außerdem saß er bereits schon mal im Gefängnis. Bei den Vernehmungen soll er teilweise sogar betrunken gewesen sein.
In einem Ermittlungsbericht von 1983 steht, dass er „ein haltloser Alkoholiker, der alles rosig erscheinen lässt, solange nur der Alkoholpegel stimmte, als einer, der Gefälligkeitsaussagen macht“ sei. So sagte er einmal zu den Beamten: „Wenn mir die Wahrheit nicht geglaubt wird, tische ich eine Lüge auf, die akzeptiert wird.“
Klaus P. ist im Jahr 1992 verstorben. Seine Leiche wurde später exhumieret, um seine DNA zu prüfen. Eine Übereinstimmung konnte aber nicht festgestellt werden.
Werner M.
Dann war da noch Werner M. Werner M. war Fernsehtechniker. Seine Frau arbeitete eine Zeitlang bei der Familie Herrmann als Putzfrau. Bereits kurz nach der Tat wurde gegen ihn ermittelt.
Damals gab er als Alibi an, dass er in seiner Werkstatt in Utting gewesen sei. Zwischen 18 Uhr und 20.30 Uhr habe er einen Mercedes auf dem Hof eines Bekannten geschliffen. Gegen 19 Uhr wäre dann ein Kumpel dort gewesen. Mit diesem Kumpel sowie seinem Bekannten habe er dann ab 20.30 Uhr Risiko gespielt. Mit einem der beiden Zeugen hat die Polizei direkt im Anschluss gesprochen. Er hat das Alibi von Werner M. dabei bestätigt. Mit dem anderen Zeugen wurde erst 5 Tage später gesprochen.
Die Polizei behauptete, dass er sich mit den Zeugen abgesprochen habe. So wurde er sowie die Zeugen einige Monate später nochmals vernommen. Er selbst hat sich bei dieser weiteren Vernehmung immer wieder in Widersprüche verstrickt, blieb aber bei seiner Version. Einer der Zeugen konnte sich vorgeblich nicht mehr an den Tag erinnern. Der andere Zeuge sagte aber aus, dass das Treffen bereits vor 18 Uhr gewesen sei. Somit hatte Werner M. für die Tatzeit von 18 Uhr bis 20.30 Uhr kein Alibi mehr. Nachbarn des Hofes wurden aber offenbar nicht befragt.
Da man Werner M. aber nichts nachweisen konnte und die Aussage von Klaus P. auch nicht für glaubwürdig hielt, wurden die Ermittlungen gegen ihn eingestellt.
Erneute Ermittlungen
Im Jahr 2007 beschäftigte sich eine Staatsanwältin erneut mit dem Fall Ursula Herrmann. Da man nicht wegen Mordes, sondern wegen erpresserischem Menschenraub mit Todesfolge ermittelte, war der Fall langsam von der Verjährung bedroht. Die Verjährungsfrist dieses Verbrechens beträgt 30 Jahre und somit wäre der Fall zum 1. Januar 2012 verjährt.
Mit den erneuten Ermittlungen rückte auch Werner M. wieder in den Vordergrund der Verdächtigen. Verdeckte Ermittler wurden auf ihn angesetzt. Er wurde 9 Monate observiert und abgehört. Ca. 7.000 seiner Telefonverbindungen wurden mitgeschnitten und ausgewertet. Einige davon waren tatrelevant. Werner M. hat dabei mehrfach über Verjährungsfristen und die mögliche Dauer einer Haftstrafe gesprochen. Er hat thematisiert, dass der Mordvorwurf gegen ihn in erpresserischen Menschenraub mit Todesfolge geändert wurde. Außerdem betitelte er den Tod von Ursula Herrmann als „Betriebsunfall“. Er sagte: „Es wollte ja keiner, dass das Kind stirbt“.
Nach diesen 9 Monaten galt er als überführt. Er lebte inzwischen in Kappeln und betrieb dort ein Geschäft für Bootszubehör. In diesem Geschäft wurde er dann im Mai 2008 festgenommen. Seine Wohnung wurde durchsucht. Dort fand man ein Tonbandgerät Grundig TK 248. Zu diesem Gerät wurde im April 2008 ein Phonetik-Gutachten erstellt. Man ging davon aus, dass er das Gerät für die Anrufe bei der Familie Herrmann verwendete.
Der Prozess
Im Oktober 2008 wurde Anklage gegen Werner M. sowie gegen seine Ehefrau erhoben. Die Hauptverhandlung begann im Februar 2009. Nach 55 Verhandlungstagen forderte die Staatsanwaltschaft eine lebenslange Freiheitsstrafe für Werner M. Am 25. März 2010 entschied das Gericht entsprechend. Das Urteil hatte ganze 310 Seiten.
Seine Ehefrau bekam einen Freispruch. Man konnte ihr nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit eine Tatbeteiligung nachweisen.
Konkrete Beweise gegen Werner M. gab es nicht. Seine Verurteilung beruhte auf einer langen Liste von Indizien. Abgesehen davon, dass sein Alibi nicht haltbar war, war er auch noch hochverschuldet und hatte bereits eine Vermögensauskunft (ehemals eidesstattliche Versicherung und noch früher Offenbarungseid) abgegeben. Er war wegen Betrug und wegen Urkundenfälschung bereits vorbestraft.
Bereits einige Jahre vor der Entführung, im Jahr 1974, besaß die Familie einen Hund. Dieser hat in der Küche Abfall verstreut, was Werner M. so aufgebracht hat, dass er ihn in die Tiefkühltruhe eingesperrt und dann dort vergessen hat. Der Hund erfror. Werner M. machte sich darüber lustig, indem er gegenüber Freunden erzählte, er habe „den Hund zur Verbannung nach Sibirien bestraft“.
Er hatte des Weiteren nicht nur die Ortskenntnis, sondern auch die nötige Mobilität für den Transport der Kiste und für die Anrufe von verschiedenen Orten. Zeitlich flexibel war er auch, was es ihm ermöglichte, alles problemlos zu planen und vorzubereiten. Er war handwerklich begabt und hatte auch die nötigen Möglichkeiten für den Bau der Kiste. Auch hatte er die Möglichkeit, Ursula Herrmann zu beobachten und ihre Gewohnheiten herauszufinden.
Er sprach einmal von einem Coup, bei dem man 2 Millionen machen müsse, was genau der Lösegeldforderung entsprach. Zeugen gaben an, dass er wohl auch über einen Geldbotenüberfall nachdachte.
Werner M. besaß ein ähnliches Fernglas wie das, was in der Nähe des Tatorts gefunden wurde.
Das sich in der Kiste befindliche Transistorradio verfügte über eine angelötete und verlängerte Wurfantenne. Werner M. hatte als Radio- und Fernsehtechniker die entsprechenden Kenntnisse, um so etwas zu bewerkstelligen.
Zeugen zufolge hörte er nach der Tat ununterbrochen den Polizeifunk ab. Sein Radio war entsprechend manipuliert. Er selbst rechtfertigte dies damit, dass das doch damals jeder getan hätte. Vorher stritt er diese Tatsache aber ab. Er wurde außerdem im Weingartenviertel mit Freunden von Zeugen gesehen. Er gab an, er hätte dort nach Pilzen gesucht. Gemäß der Polizei gibt es da allerdings keine Pilze.
Wie bereits weiter oben geschrieben, waren die Erpresserbriefe mit ausgeschnittenen Buchstaben/Wörtern verfasst. Diese stammten u. a. aus der Bild sowie der Bild am Sonntag. Werner behauptete, er hätte diese Zeitungen niemals gelesen. Seine Ehefrau widerlegte diese Aussage jedoch.
Hauptsächlich verantwortlich für seine Verurteilung war jedoch die Zeugenaussage von Klaus P., die damals von der Polizei als unglaubwürdig eingestuft wurde. Als weiteres Hauptindiz diente das Tonbandgerät. Das Tonbandgerät, das bei ihm gefunden wurde, wurde selbstverständlich beschlagnahmt. Es hatte einen Defekt, dar laut der LKA-Gutachterin einen ähnlichen Effekt hervorrief, wie bei dem Tonbandgerät, das für die Anrufe bei der Familie Herrmann verwendet wurde. Zeugen sagten bzgl. des Gerätes aus, dass sie ein ähnliches damals zur Tatzeit bei Werner M. gesehen haben.
Werner M. sagte bzgl. des Tonbandgeräts aus, dass er es noch nicht lange besitze und es auf einem Flohmarkt gekauft habe. Er sagte, er habe das Gerät mit einem Notstromaggregat auf diesem Flohmarkt getestet. Mehrere Zeugen widerlegten dies jedoch. Auf diesem Flohmarkt gab es zu dieser Zeit lediglich eine Person, die so ein Aggregat hatte und diese Person bestritt, dass Werner M. das Aggregat benutzt hat.
Trotz all dieser Indizien haben seine Fingerabdrücke aber nicht mit den gefundenen Fingerabdrücken übereingestimmt. Im Jahr 2015 hat er auf eigenen Wunsch einen Lügendetektortest im Gefängnis gemacht. Bei diesem Test wurden ihm natürlich einige Fragen zur Tat gestellt, bei denen er seine Unschuld beteuerte. Laut dem Lügendetektor sagte er dabei immer die Wahrheit. Ein solcher Test ist in Deutschland vor Gericht jedoch nicht als Beweismittel zugelassen.
Einige Jahre nach seiner Verhaftung gab es ein Interview mit Werner M. Während dieses Interviews erzählte er, dass er einen Privatdetektiv damit beauftragte, den damaligen Flohmarktverkäufer ausfindig zu machen. Dies sei wohl auch gelungen. Seinen Angaben zur Folge gab es derzeit gerade Befragungen. Später „kurz vor dem Ziel“ sei der Privatdetektiv aber verstorben.
Bei diesem Interview wurde er auch auf seine Aussage hinsichtlich des „Betriebsunfalls“ angesprochen. Er fragte daraufhin, was an dieser Aussage komisch sei. Er erklärte sie damit, dass bei einem Handwerker, der sich mit einer Säge einen Finger absägt, auch von einem Betriebsunfall gesprochen wird. So sei es doch im Fall Ursula Herrmann, die durch einen Konstruktionsfehler an der Kiste dann gestorben ist, ähnlich. Er sagte dazu weiterhin, dass ihr Tod ja nicht grausam war, sondern dass der Erstickungstod sehr euphorisch sei.
Der Zivilprozess
Im Dezember 2013 hat Michael Herrmann, der ältere Bruder von Ursula Herrmann, Werner M. auf 20.000 € Schmerzensgeld verklagt. Durch den aufreibenden Strafprozess hat Michael Herrmann gesundheitliche Schäden, genauer einen Tinnitus, davongetragen. Der eigentliche Sinn dieses Prozesses war aber ein anderer. Michael hatte starke Zweifel am Urteil und an der Schuld von Werner M. Durch den Zivilprozess sollte eine neue Beweisaufnahme stattfinden.
Die Zeugenbefragung begann erst am 7. September 2017. Am 2. Juli 2018 entschied das Gericht, Michael 7.000 € Schmerzensgeld zuzusprechen. Die Prozesskosten (also die Kosten des klagenden Partei, der beklagten Partei sowie die Gerichts- und Sachverständigenkosten) waren zu 35 % von Werner M. und zu 65 % von Michael Herrmann zu tragen. Somit waren die Prozesskosten für Michael sogar höher als der Betrag, der ihm gemäß Urteil zugesprochen wurde.
Michael schrieb während des Verfahrens einen offenen Brief an das Gericht. Er beklagte, dass das Gericht das Verfahren nur in die Länge ziehe, um Zeit zu gewinnen. Die Hinweise auf einen anderen Täter als Werner M. würden sich mehren, dieser Täterkreis sei jedoch nur mangelhaft untersucht worden.
Da Michael Herrmann mit dem Urteil nicht einverstanden war, legte er Berufung ein. Das Oberlandesgericht München hob das Urteil des Landgerichts München auf und entschied, dass Michael überhaupt keinen Anspruch auf ein Schmerzensgeld hat. Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass der Abstand zwischen der Tat und dem Strafverfahren zu lang für eine Schmerzensgeldforderung sei.
Private Suche nach Indizien
Wie schon erwähnt, hatte Michael starke Zweifel an der Schuld von Werner M. Er hat daher eine private Suche nach weiteren Indizien betrieben. So wurde beispielsweise der Erpresserbrief, den die Familie damals bekam, von einer Expertin genauer untersucht. Diese hat Druckstellen auf dem Brief gefunden, die auch schon 1981 aufgefallen sind, aber nicht entschlüsselt werden konnten. Die Expertin konnte aber entschlüsseln, dass die Druckstellen ein Baumdiagramm aus der Stochastik, wie in der Oberstufe, zeigen. Dieser Umstand weist eher auf Täter hin, die noch zur Schule gingen.
In der Nähe des Tatorts gab es ein Landerziehungsheim. In Zusammenhang mit diesem Internat kommt auch wieder der Klingeldraht ins Spiel. Dieser wurde damals nach dem Fund der Kiste von den Ermittlern im Wald hängen gelassen und war einige Tage später plötzlich verschwunden. Im Januar 1983 tauchte er wieder auf und zwar bei zwei Schülern aus dem Internat. Sie sagten, sie haben ihn im Wald gefunden, während sie eine Eule verfolgt haben. Sie haben ihn dann mitgenommen und in ihrem Zimmer in eine Kiste gepackt.
Viele Jahre später bei einem Interview wurde einer dieser beiden Schüler auf den Klingeldraht angesprochen. Er sagte dazu, dass sie den Draht mitgenommen haben, weil so etwas nicht in einen Wald gehört, da sich z.B. Tiere daran verletzen können. Warum sie ihn aufbewahrt haben, weiß er heute nicht mehr.
In dem Internat befanden sich damals viele Kinder von wohlhabenden, einflussreichen Eltern. Diese sollen ihre Kinder dort „abgestellt“ haben, um selbst mehr Freizeit zu haben. Ein anderer Schüler aus dem Internat vermutet heute auch, dass es womöglich ein Mitschüler gewesen sei. Er vermutet, dass der oder die Täter zu den Kindern zählten, die dort „abgestellt“ wurden. Aus seiner Sicht war das Motiv, einen Beweis dafür zu finden, dass „jemand, der nichts hat, alles für seine Kinder tut und jemand, der alles hat, nichts für seine Kinder tut“.
Zwischen diesem Internat und dem Tatort wurde im Herbst 1982 weiterhin eine Plastiktüte mit Sehschlitzen gefunden. Diese Tüte lag, vermutlich seit der Entführung, in einem Baumstumpf.
In Michael’s Augen spricht auch der weitere Inhalt in der Kiste nicht dafür, dass es ein erwachsener Täter war. Beispielsweise die Comics und die Süßigkeiten sprechen nicht für ein Erwachsenendenken. Im Erpresserbrief wurde die Geldübergabe in einem gelben Fiat 600 gefordert. Dieses Auto spielt auch im Comic Clever & Smart, der mit in der Kiste lag, eine Rolle.
Auch hinsichtlich des Tonbandgeräts hält Michael Herrmann die Schuldfrage alles andere als naheliegend. Er schreibt dazu: „Ein bei ihm gefundenes Tonbandgerät Grundig TK 248 soll bei den Schweigeanrufen mit dem Bayern3-Signal verwendet worden sein. Mich hat das als Musiker mit Tonstudio Erfahrung verwundert, denn ich weiß, dass sich sehr viele audioakustische Parameter nicht zurückverfolgen lassen.“
Mit seinen gesammelten Indizien ging er dann im Mai 2019 zu den Justizbehörden und erhoffte sich, dass der Fall noch einmal aufgerollt wird. Im August 2019 teilten sie ihm aber mit, dass es sich bei der Tat nicht um Mord handelt und die Tat damit bereits verjährt ist. Seine Hinweise wären weiterhin nicht ausreichend geeignet, um das Urteil gegen Werner M. in Frage zu stellen.
Das Bekennerschreiben
Im November 2020 hat der Fall Ursula Herrmann eine unerwartete Wendung bekommen. Verschiedene Unternehmen und Behörden erhielten ein Bekennerschreiben. Als Verfasser wurde ein ehemaliger Schüler aus der Oberstufe des Internats angegeben. Darin wurden Details genannt, die bisher nie in den Medien waren. Der angebliche Verfasser kündigte dazu noch seinen Suizid in diesem Schreiben an.
Selbstverständlich wurde er daraufhin kontaktiert. Er bestritt sowohl den Brief geschrieben zu haben, als auch suizidgefährdet zu sein. Es wurden also Prüfungsmaßnahmen eingeleitet, die ergaben, dass der Brief wahrscheinlich tatsächlich nicht von dem angeblichen Verfasser stammte.
Meine Gedanken
Ich habe gar keine Worte für das, was der kleinen Ursula passiert ist. Allein die Vorstellung, wie das arme Mädchen eingesperrt in dieser Kiste sitzen musste, ist grauenhaft. Ich kann nicht im entferntesten nachvollziehen, wie man einem Kind oder generell einem Menschen so etwas antun kann. Egal, wie alt der oder die Täter waren und was ihre Motivation hinter dieser Tat war.
Wenn auch auf den ersten Blick viel dafür spricht, dass mit Werner M. der richtige Täter überführt wurde, so glaube ich trotzdem nicht, dass er es war. Er scheint alles andere als sonderlich sympathisch gewesen zu sein und offenbar war er auch nicht der empathischste Mensch. Wenn man aber mal auf die Details achtet, so passen diese meiner Meinung nach einfach nicht zu ihm. Warum sollte er bzgl. der Geldübergabe auf einen gelben Fiat 600 bestehen?
Wer auch immer Ursula entführt hat, scheint sich zumindest ein paar Gedanken darüber gemacht zu haben, was sie mag. Dafür sprechen die Süßigkeiten und die Comics. Ich glaube nicht, dass Werner M. sich als Täter übermäßig mit den Vorlieben von Ursula beschäftigt hätte.
Auch die abgehörten Aussagen bzgl. der Verjährung und einer Haftstrafe halte ich nicht für besonders aussagekräftig. Bekannt ist nur, dass sich Gespräche darum drehten. Der genaue Zusammenhang dieser Gespräche ist aber unbekannt. Genauso die Frage, wer diese Themen begonnen hat. Er galt auch damals schon als einer der Hauptverdächtigen und ich kann mir vorstellen, dass so ein Verdacht eine Person niemals wirklich loslässt. Außerdem wird auch Werner M. klar gewesen sein, dass der Fall vor der Verjährung steht und womöglich hat er auch damit gerechnet, dass der Fall noch einmal aufgerollt wird und er somit auch wieder eine Rolle spielen wird.
Zwar ist die Aussage hinsichtlich des „Betriebsunfall“ absolut geschmack- und empathielos, ein Schuldeingeständnis ist es aber auch nicht.
Insgesamt gibt es viel zu viele Zweifel für ein Urteil zulasten Werner M. und vor allem für eine lebenslange Freiheitsstrafe.
Weiterführende Empfehlungen
Wer sich noch weiter mit diesem Fall beschäftigen möchte, dem ich kann den Podcast von Katja Paysen-Petersen für den BR empfehlen. In insgesamt 7 Folgen beschäftigt sie sich sehr ausführlich mit dem Fall und auch viele Prozessbeteiligte kommen dabei zu Wort.
Christa von Bernuth hat die Geschichte von Ursula Herrmann in einem Kriminalroman „Tief in der Erde“ verarbeitet. Christa von Bernuth war ebenfalls Schülerin des Internats.
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Keine Lust zu lesen? Hier das Video!
Wer ließ am 15.9. 1981 zwischen 18 Uhr und 20.30 Uhr in der Werkstatt des Werner M. in Utting seinen Mercedes schleifen? Sollte man nicht dieser Spur nachgehen?
Leider ist nicht bekannt, welchen Spuren konkret nachgegangen wurde.