Warum musste Jens Bleck sterben?

Ein eigentlich harmloser Disco-Besuch endet am 8. November 2013 für Jens Bleck tödlich. Während die Ermittler jahrelang auf einen Suizid beharren, sind seine Eltern überzeugt davon, dass Jens etwas angetan wurde…
Wer war Jens Bleck?
Jens war damals 19 Jahre alt und lebte in Bad Godesberg. Er studierte Jura und und war ein sehr fröhlicher, lebensbejahender Mensch.
Seine Eltern arbeiteten beide in einem Bonner Ministerium. Und auch Jens hatte große Pläne; er wollte einmal im Diplomatischen Dienst tätig sein.
Er war sehr stolz darauf, als einer von 30 Personen für einen Studiengang im Deutsch-Französischen Recht an der Kölner Universität angenommen worden zu sein. Dadurch hatte er das Privileg, bald in Paris studieren zu dürfen. Dafür steckte er bereits in den Umzugsvorbereitungen.
Was ist passiert?
Am 8. November 2013 war Jens am Abend zum Geburtstag eines alten Schulfreundes in Mehlem, das zur Gemeinde Bad Godesberg gehört, eingeladen. Gegen 20 Uhr setzten seine Eltern ihn dort ab. Mit dabei waren auch noch 8 andere Abi-Freunde der beiden.
Später am Abend entschloss sich die Gruppe, noch mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln nach Bad Honnef in die Disco „Rheinsubstanz“ zu fahren, um dort weiterzufeiern. Gesagt, getan. Um 23.49 Uhr verließen sie dann die Stadtbahn und gingen den kurzen Weg zur Disco.
Um 1.53 Uhr fuhr die letzte Bahn zurück Richtung Bonn. Die Bahn fährt jedoch ohne Jens zurück. Zeitgleich geht zu Hause auf dem Handy von Jens‘ Mutter ein Anruf ein. Auf dem Display sieht sie den Namen ihres Sohnes. Sie nimmt das Gespräch an und fragt „Jens?“. Am anderen Ende der Leitung hört sie eine laute, keifende Frauenstimme sowie zwischendurch die Stimme von Jens und die Stimme eines anderen Mannes. Sie ruft erneut ins Telefon „Jens? Antworte doch!“ – aber Jens reagiert nicht.
Einige Minuten später, um 2.03 Uhr geht bei ihr ein weiterer Anruf von Jens ein. Als sie das Gespräch annimmt, sagt Jens „Hallo, hier ist Jens Bleck und ich stehe vor der Tür der Rheinsubstanz“. Verwundert antwortet seine Mutter „Jens? Was ist los?“, woraufhin er sagte „Ach so, entschuldigen Sie bitte.“ Langsam wird Jens‘ Mutter doch etwas besorgt und sagt „Jens, ich bin es doch, deine Mutter. Wo bist du?“ und antwortet nur „In Bad Honnef“, bevor die Verbindung auf einmal abbricht.
Seine Eltern versuchen daraufhin einige Male, ihn telefonisch zu erreichen, was ihnen aber nicht gelingt. Sein Vater schickt ihm deshalb eine SMS, dass er sich doch bitte melden solle. Die SMS wird Jens aber nicht zugestellt. Jens‘ Vater hätte sonst einen Zustellbericht erhalten.
Die Sorgen seiner Eltern werden nun zwar etwas größer, aber sie beruhigen sich damit, dass seine Stimme klar und ruhig klang und vermuten, dass er einfach wieder in Disco gegangen ist und dort keinen Empfang hat. Außerdem ist er ja mit seinen Freunden unterwegs, was sollte da schon passieren.
Was Jens Block’s Eltern nicht wissen ist, dass ihr Sohn in den nächsten 45 Minuten durch die Hölle gehen wird und unter Todesangst selbst von der Polizei einfach links liegen gelassen wird…
Bevor sie von den Geschehnissen der Nacht erfahren, schlafen sie aber zunächst wieder ein, bis es um 5.30 Uhr an der Haustür klingelt. Vor der Tür steht ein Polizist, der sich erkundigt, ob Jens Bleck zu Hause sei. Nachdem sie dies verneinen, eröffnet ihnen der Polizist dann, dass in diesem Fall davon auszugehen sei, dass Jens im Rhein ertrunken ist. Sein Portemonnaie sei am Ufer gefunden worden, weswegen die Beamten von einem Suizid ausgingen.
Weitere 25 Minuten später kamen noch einige von Jens‘ Freunden. Sie waren sehr verstört. Dem Polizisten widersprachen sie aber was das Portemonnaie anging. Sie sagten, dass Jens es einem Polizisten in die Hand gab, der es dann in seine Uniformtasche steckte, was auch von Zeugen bestätigt werden könne. Der Polizist gab daraufhin vor, nichts genaueres zu wissen.
Nachdem Jens‘ Mutter, völlig überfordert mit der ganzen Situation, einen Zusammenbruch erlitt, kamen später auch noch Seelsorger hinzu.
Bei Tagesanbruch sollte dann eine Suchaktion starten. Jens‘ Vater beschloss sofort, nach Bad Honnef zu fahren, um bei der Suchaktion vor Ort zu sein. Dabei wurde er von einem Seelsorger begleitet. Jens‘ Mutter blieb mit zwei weiteren Seelsorgern sowie mit den Freunden zu Hause.
Die Ermittlungen
Nachdem Jens‘ Vater in Bad Honnef ankam und mit den Polizisten sprach, erläuterten diese ihm ihre Theorie, dass Jens von einer Steinbrücke in den Rhein gesprungen sei, um Suizid zu begehen. Dort wurde ihm auch die Aussage von Jens‘ Freunden hinsichtlich des Portemonnaies bestätigt.
Nachdem sein Vater ein Gespräch von zwei Polizisten mit anhörte, die sich über ein Mädchen unterhielten, dass auf dem Vorplatz der Disco nachts noch notärztlich versorgt werden musste und anschließend mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht wurde, wuchs sein Misstrauen. Auch einer von Jens‘ Freunden klagte über einen ca. einstündigen Filmriss. Die Zweifel an der Suizid-Theorie wuchs so immer mehr. Wahrscheinlicher erschien den Eltern, dass hier möglicherweise KO-Tropfen im Spiel waren.
Da die Ermittler aber an ihrer Theorie festhielten, wirkte sich dies natürlich auch auf die Ermittlungen aus. Jens‘ gesamtes Umfeld hielt es aber für ausgeschlossen, dass er sich selbst etwas angetan hätte. Nach einigen Tagen fragte Jens‘ Mutter, ob denn überhaupt nach Jens gesucht würde. Sie erhielt lediglich die Antwort, sie solle froh sein, wenn er überhaupt gefunden wird. Manche würden direkt in die Nordsee rutschen.
Als die Polizei sein Portemonnaie an die Familie aushändigt, befindet sich darin keinerlei Bargeld und auch sein Personalausweis nicht.
Am 24. November 2013 geben die Ermittler der Familie dann bekannt, dass Jens‘ Leiche im Rhein, etwa 50 km flussaufwärts in Stammheim, im Norden von Köln, gefunden wurde. Bei sich hatte Jens vier Euro, seinen Ausweis sowie sein Handy.
In der folgenden Zeit stellten Jens Bleck’s Eltern dann eigene Nachforschungen an. Auch mit vielen Zeugen sprachen sie selbst.
Noch immer wussten sie aber nicht, was denn genau in der Nacht des 8. November geschehen ist. Die Überwachungskameras der Disco konnten in dieser Hinsicht aber für Aufklärung sorgen. Durch stundenlange Puzzlearbeit der verschiedenen Kameras konnte schließlich ein ungefährer Hergang der Nacht rekonstruiert werden.
Die Rekonstruktion
1.52 Uhr: Jens Bleck telefoniert im Kassenbereich und betritt anschließend wieder die Disco.
1.54 Uhr: Jens ist wieder im Kassenbereich. Er spricht mit der Garderobenfrau und lässt sich seinen Trenchcoat geben. Daraufhin verlangt er, die Geschäftsführung zu sprechen, da er sich beschweren will. Er ist ziemlich aufgebracht und kurz später erscheint die Schichtleiterin.
1.59 Uhr: Die Schichtleiterin geht zurück in die Disco. Jens spricht mit einem großen, fremden Mann und danach mit der Kassenfrau. Auf der Überwachungskamera sind sieben weitere fremde Personen zu sehen.
2.02 Uhr: Die Schichtleiterin verweist Jens der Disco und erteilt ihm Hausverbot. Er spricht weiter mit ihr, aber sie schiebt ihn am Arm nach draußen.
2.03 Uhr: Jens geht auf dem Disco-Vorplatz an einem Imbisswagen vorbei und rechts aus dem Bild. Er geht Richtung Haltestelle, wo auch die Taxis stehen und klopft an die Scheibe eines Taxis. Auf den Fahrer macht er einen gehetzten und panischen Eindruck und sagt diesem, dass er Angst hat, weil sie hinter ihm her sind und ihn töten wollen. Er bat den Taxifahrer, ihn nach Hause zu fahren. Weil er nicht mehr genug Bargeld, aber seine EC-Karte, bei sich hatte, bot er ihm an, am nächsten Automaten zu halten und Geld zu holen. Der Taxifahrer lehnte aber ab, da er zu viele schlechte Erfahrungen mit solchen Situationen gemacht habe und nur Vorkasse nehme. Er verweist Jens dann noch an die Polizei, die wenige Meter entfernt steht.
Jens geht zum Streifenwagen. Die Beamten sind gerade mit einem Autounfall beschäftigt. Sie sagen ihm, sie haben zutun und er solle aus dem Weg gehen.
Verunsichert geht Jens zurück zu den Taxis. Ein junger Fahrer bekommt Mitleid mit ihm und bietet ihm an, ihn zu fahren. Sofort kommt aber ein älterer Kollege dazu und verhindert die Fahrt. Wieder geht Jens zu den Polizisten. Er holt sein Portemonnaie aus seiner Tasche, gibt es einem der Beamten, der es in seine eigene Tasche steckt und Jens zur Seite schiebt.
Die Taxifahrer sagen später aus, dass Jens keinen betrunkenen Eindruck machte.
Plötzlich kommen zwei Männer, die Jens in ihre Mitte nehmen. Sie sagen zu ihm „Wir kümmern uns um dich“, kurze Zeit später blutet er aus der Nase.
Jens rennt los, Richtung Bahnhof. Plötzlich biegt er ab und läuft zur Disco zurück.
2.42 Uhr: Jens Bleck läuft durch den Kassenbereich wieder in die Disco.
2.43 Uhr: Die innere Kamera filmt, wie Jens auf der Treppen von der Schichtleiterin sowie zwei Türstehern abgefangen und raus gebracht wird. Er wehrt sich und will um jeden Preis, in der Disco bleiben.
Einer von Jens‘ Freunden, der die Szene beobachtet sagt später, er hat Jens noch nie mit einem so starren und leeren Blick gesehen.
2.44 Uhr: Jens rennt über den Vorplatz auf die Straße und nach links aus dem Bild.
2.46 Uhr: Bei der nahegelegenen Steinbrücke sind die Schreie einer Frau zu hören. Die Polizisten werden aktiv und rennen zur Brücke. Auf dem Weg kommen ihnen zwei Männer und eine Frau (die eine Freundin des Mädchens ist, das ins Krankenhaus gebracht wurde) entgegen. Sie sagen den Beamten, dass jemand im Wasser treibt und um Hilfe ruft. Die Beamten suchen die Gegend ab, können aber aufgrund der Dunkelheit und der starken Strömung nichts erkennen.
Unzufriedenheit mit den Ermittlungen
So richtig vorwärts ging es mit den Ermittlungen nicht. Während die Staatsanwaltschaft Bonn versicherte, dass die Staatsanwaltschaft Köln für die Ermittlungen zuständig sei, die Ermittlungen dort aber eingestellt worden seien, behauptete die Staatsanwaltschaft Köln das genaue Gegenteil.
Dort sagte man, die Ermittlungen könnten gar nicht eingestellt werden, weil sie überhaupt nicht zuständig sind. In Köln wäre lediglich die Rechtsmedizin mit der Obduktion befasst gewesen. Eine Akte zu den Ermittlungen sei nicht einmal vorhanden. Zuständig sei die Staatsanwaltschaft Bonn.
Jens‘ Eltern fragten sich, ob denn überhaupt ermittelt wird, wenn schon Monate dafür verschwendet wurden, die Zuständigkeit zu klären.
Die Kölner Rechtsmedizin erstellte jedenfalls ein Gutachten, nach dem es keinen Hinweis auf ein Fremdverschulden gab. Ein Hinweis auf Drogen oder KO-Tropfen ergab sich ebenfalls nicht. Stattdessen wurde aber ein Alkoholwert von 2,6 Promille festgestellt. Nun sahen die Ermittler doch von ihrer so geschätzten Suizid-Theorie ab und gingen fortan davon aus, dass Jens Bleck betrunken in den Rhein gefallen sei.
Jens wurde aber auch erst 16 Tage nachdem er verschwand, im Rhein gefunden. KO-Tropfen aber sind schon nach wenigen Stunden nicht mehr im Organismus nachweisbar. Und auch der Alkoholwert könnte in Zusammenhang mit der bereits fortgeschrittenen Verwesung gestanden haben.
Für die Beamten jedenfalls stand fest, dass kein Verbrechen vorlag und so wurden die Ermittlungen eingestellt.
Wiederaufnahme der Ermittlungen
So sehr die Ermittler auch daran festhielten, dass es sich um einen Suizid, bzw. später einen Unfall handelte, so sehr pochten Jens‘ Eltern darauf, dass genau dies nicht der Fall war.
2016 erwirkten sie dann eine Wiederaufnahme des Verfahrens unter anderem wegen Fehlern, die bei den ersten Ermittlungen passierten. Schließlich kam es in 2019 dann aber dennoch zum endgültigen Ermittlungsende wegen fehlender Zeugenaussagen.
Da viele Medien über das tragische Schicksal von Jens Bleck berichteten, meldeten sich auch bei der Presse viele Besucher der Disco. Sie berichteten über Gewalttaten der Türsteher, über Prostitution und auch über Machtkämpfe zwischen Rockergruppen. Bereits im Jahr 2015 wurde die Disco aber geschlossen. Immer wieder fiel sie in Zusammenhang mit KO-Tropfen und Gewaltexzessen negativ auf…
Das Klageerzwingungsverfahren
Über die Jahre hinweg häuften sich bei Jens Bleck’s Eltern die Anhaltspunkte, dass er nach einem Streit in den Rhein gestoßen wurde. Auch zwei Beschuldigte waren bekannt. Dennoch weigerte sich die Staatsanwaltschaft, ein Verfahren zu eröffnen.
Seine Eltern klagten daraufhin dagegen. Allerdings entschied das Oberlandesgericht Köln, dass zwar Anhaltspunkte bestehen, diese aber für eine Verfahrenseröffnung nicht ausreichend sind. Die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung sei zu gering.
So wird es wohl – trotz aller Offensichtlichkeit – ewig bei einem offiziellen Unfall bleiben. Ein junger Mann, mit einer strahlenden Zukunft, dem sein Leben viel zu früh genommen wurde, bekommt nun nicht einmal nach seinem Tod die ihm zustehende Gerechtigkeit (auch wenn dieses Wort in dem Zusammenhang nicht ganz passend sein mag). Während ein oder mehrere Personen einfach ihr Leben weiter genießen können und offenbar nicht einmal etwas zu befürchten haben… Hoffentlich tauchen irgendwann doch noch handfeste Beweise, die eine Anklage unumgänglich machen.
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